Glocken, Blumen und Glockenblumen
03. März 2023
von Mariano Gaich
Westliche klassische Musik in der HPS-Michaelschule. Eine Herausforderung der kulturellen Bildung im Spannungsfeld zwischen Legitimierung westlicher klassischer Musik und Inklusion im vielfältigen Schulkontext.
Seit Herbst 2022 finden an der Michaelschule regelmässig kulturelle Angebote des Musikkollegiums Winterthur statt. So gibt es diverse Instrumente kennenzulernen, an einer Orchesterprobe oder musikalischen Märchenstunden eines Figurentheaters in der Aula der Schule teilzunehmen. Hier bedeutet Vermittlung eine Anregung der Wahrnehmung der Schüler*innen durch Körperbewegungen und dem Hören und Singen von Liedern, welche die westliche klassische Musik mit einem Erlebnischarakter andersartig fass- und lernbar macht. So wird ein alternativer Zugang zu ihr ermöglicht, der sich bewusst absetzt von traditionellen und elitären Zugängen, welche westliche klassische Musik als universelle Kunstform kanonisieren und festschreiben. Für mich als Kulturagent stellt sich hier massgeblich die Frage, wie diese Musik vermittelt werden kann, ohne dass das bürgerliche westliche Modell des männlichen weissen «Musik-Genies» aus dem 18. Jahrhundert reproduziert wird.
Das Vermittlungsprogramm des Musikkollegiums bietet verschiedene Aktivitäten an, um westliche klassische Musik in der Michaelschule zu erleben. Als Anregung für die Aktivitäten mit den Schüler*innen, verwendet jede Vermittlungsperson unterschiedliche Materialien: farbige Stoffe und eine Frühlingsglockenblume (welche die die Musik der europäischen Romantik symbolisiert) oder Kreide zum Zeichnen, während westliche klassische Hintergrund- und Live-Musik gespielt wird. Alle diese unterschiedlichen ästhetischen Mittel unterstützen die Kinder und Jugendlichen, damit sie spielerisch und neugierig eine Sprache des eigenen Körpers – der Bewegung, des Tanzes und des Singens – neu erfahren können. Es geht explizit nicht darum, einen aufklärerisch-pädagogischen Kanon des westlichen klassischen Musikunterrichtes zu reproduzieren, sondern mehr darum, die Schüler*innen zu ermutigen, sich als Subjekte der Handlung und bewussten Wahrnehmung in einem musikalischen Setting zu erleben. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, den Umstand hervorzuheben und zu hinterfragen, dass die meisten westlichen klassischen Musikstile aus den Federn von Komponisten und leider viel weniger von Komponist*innen stammen.
Bei einem der Vermittlungsformate laufen die Klassen zusammen mit den Lehrpersonen und Betreuer*innen im Kreis, bewegen sich je nach Tempo und musikalischen Klängen und erleben so den Moment des Zusammenkommens im schulischen Alltag. Solche Momente werden in der Michaelschule immer wieder ins Zentrum kultureller Aktivitäten gestellt und sind Teil einer bestehenden Tradition dieser Schule. Eine Gemeinschaft von Schüler*innen aus verschiedenen Klassen erzeugen einen lebendigen Austausch von unterschiedlichen Energien, Wahrnehmungen und Emotionen in einem von allen Klassen gestalteten performativen Raum.
Wie alle oben beschriebenen ästhetischen Methoden im Unterricht nachhaltig von Lehrpersonen integriert werden können, wird sich im Laufe der Zusammenarbeit zwischen der Michaelschule und dem Musikkollegium in den folgenden Jahren zeigen. Als vorhergehende Kollaboration und im Rahmen des Kulturagent.innen Projektes in der Michaelschule, wurden experimentelle und performative Methoden für den Unterricht durch ein vierjähriges Projekt mit Figurentheater Winterthur erprobt. Den Lehrpersonen, sowie den Schüler*innen und der Schulleitung wurde bewusst, dass das Lernen durch die Kunst – in diesem Fall mit dem Figurentheater – möglich ist und sich künstlerische Wege für die Unterrichtsentwicklung als Teil der Schulentwicklung eröffnen können. In diesem Sinne hat sich das Figurentheater in der Michaelschule gut verankert. Es konstituiert ein Archiv aus Wissen und Erfahrung, aber auch eine Grundlage der kulturellen Bildung an der Schule für weitere Kooperationen mit Kulturinstitutionen der Stadt Winterthur, sowie dem Musikkollegium oder dem – auch im Rahmen des Kulturagent.innen Projektes – Fotomuseum Winterthur
Aktuell arbeitet im Schuljahr 22/23 das Figurentheater mit dem Musikkollegium in der Michaelschule zusammen: das Thema der vier Elemente – Feuer, Luft, Erde und Wasser – wird in der Michaelschule theatralisch und musikalisch in verschiedenen Workshops für Schüler*innen untersucht.