Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Eine Schulhauswand wird neugestaltet. Soweit nichts Neues. Doch diesmal begegneten die Schüler:innen während ihrer Arbeit den ganz grossen Fragen der Kunst. Ein Erfolgsprojekt könnte man meinen. Eine Kulturagentin ordnet ein.

Ein Wandbild an einem Schulhaus in Zürich Seebach zeigt die idyllische Szene eines Alpaufzuges. Der Anblick ist vertraut. Zugleich wirkt die Szene im Jahr 2023 in Zürich Seebach wie aus der Zeit gefallen. Der Alpaufzug mit den Pfeifen rauchenden Älplern, den Appenzeller Sennenhunden und dem Braunvieh repräsentiert ein verklärt romantisches Bild der Schweiz: Männer in Sennentrachten führen Ross und Wagen, Vieh und Ziegen auf die Alp. Die Milch fliesst, die Butterproduktion der 70er Jahre türmt sich zu einem Berg. 2023 verdeckt dieser Butterberg den Blick auf eine so ganz andere, multikulturelle Schweiz. Die Tagesschule Himmeri ziert heute ein Bild, das der QUIMS-Schule so gar nicht mehr gerecht wird. Denn: Welche persönlichen Anknüpfungspunkte haben die Schüler:innen von heute noch mit diesem Bild? Was aus der dargestellten Szene hat mit ihrem Leben zu tun? Vermutlich wenig bis nichts. Und wenn doch, dann wohl am ehesten in Form von Geschichten. Geschichten, die das Bild einer bergigen Schweiz zeichnen, wo Männer zur Alp gehen und Frauen und Menschen aus anderen Kulturen kaum in der Öffentlichkeit vorkommen.

Einige Schüler:innen mögen das Bild. «Weil es so realistisch, so echt gemalt ist.» Und einige wünschen sich eine Neugestaltung. Sie und ihre Klassenlehrperson sind es dann auch, die diesen Wunsch an die Kulturagent.in richteten. Dieser Wunsch und die damit einhergehende Frage nach dem «Was dann?» waren Ausgangslage des Kunstprojektes «Zeichenzeugnis,» welches sich auf mehreren Ebenen als anspruchsvoll gestaltete.

Bereits zu Projektbeginn standen anspruchsvolle und zugleich genuine Fragen des Kunstmachens im Zentrum der Auseinandersetzung: Welche zentralen Themen unserer heutigen Zeit wollen wir für die Zukunft von morgen festhalten? Was macht unsere Gegenwart aus? Was ist typisch in unserem Alltag in Seebach? Und was wollen wir von unserer Gegenwart berichten und weitergeben? Wenn man den Alpaufzug betrachtet, ein Relikt einer ländlichen Schweiz der 70er Jahre, sind das ganz berechtigte Fragen. Für die Mittelstufenschüler:innen waren diese Fragen alles andere als naheliegend. Das fiktive Szenario «Deine Generation lebt nicht mehr und unbekannte Wesen entdeckt die Wand viele, viele Jahre später. Was können diese Wesen aus unseren Zeichen über das Leben in Zürich-Seebach und der Schweiz im Jahr 2023 lesen?» sollte die abstrakten Fragen konkret, bildlich werden lassen. Heute höre ich an der Schule: «ich verstehe nicht, wieso Aliens genau hier landen sollten.»

Für Künstler:innen sind aber genau solche Fragen nach dem Charakteristischen unserer Gegenwart die Richtigen und Wichtigen. Und folglich auch berechtigte Fragen, mit denen sich Schüler:innen im Rahmen eines Kunstprojektes auseinandersetzen sollen. Was aus dem Jetzt soll in Form gebracht werden, gilt es zu kommunizieren und das eben auch für eine zukünftige Generation? Kunst erzählt schliesslich immer auch von der Zeit, in welcher sie entstanden ist. Sei es aufgrund des Inhalts, des Materials oder Mediums, der Herangehensweise oder des Stellenwerts des Kunstschaffenden in der Gesellschaft. Und so sind Kunstwerke für uns immer auch einer bestimmten Zeit zuzuordnen. Sie erzählen womöglich von anderen gesellschaftlichen Werten, Lebensweisen, ökonomischen Bedingungen und transportieren damit Wissen über eine andere Zeit. Und so machten sich die Schüler:innen auf die Suche nach Themen, die aus ihrer Sicht unsere Gegenwart charakterisieren: Freundschaft, Länder, Unterhaltung und 34 weitere Phänomene.

Der nächste Schritt, eine «zeitlose» Zeichensprache für die 37 Themen zu entwerfen, erwies sich als nicht minder anspruchsvoll. Die Zeichensprache sollte zeitlos in der Gestaltung und universell verständlich in ihrer Leserlichkeit sein, so dass die Zeichen auch für eine zukünftige Generation verständlich sind. Und auch diese gestalterische Herausforderung streifte erneut ein genuines Thema der Kunst (und natürlich auch des Designs und der Architektur): Die jahrhundertalte Suche nach einer allgemeinen, zeitlosen Schönheit. Mit den ganz Grossen der Kunstgeschichte wollten es die Schüler:innen nicht aufnehmen. Aber den Versuch eine für viele leserlichen Bildsprache zu entwickeln, wollten sie wagen. Dabei waren sie mit der Aufgabe konfrontiert, ein prägnantes Bild für ihr ausgewähltes Thema zu finden. Besonders herausfordernd gestaltet sich dies bei abstrakten Themen wie beispielsweise «Kommunikation.» Wie zeige ich Kommunikation in Form von einem Zeichen aus Linien und Flächen? In Begleitung der Zürcher Künstlerin Carolina Cerbaro sind die Schüler:innen in die Kernaufgabe visueller Gestaltung eingetaucht.

Nach einer langen Sommer- und Bildpause, wurde der Alpaufzug übermalt und eine weisse, leere Wand empfang die Schüler:innen im neuen Schuljahr, und diese konnten nun endlich mit der Umsetzung beginnen. Das saubere Bemalen der Wand in unterschiedlichen Farbtönen und das präzise Übertragen und Malen ihrer entwickelten Zeichen stellte für die 5. und 6. Klässler:innen eine handwerkliche Herausforderung dar. Selbst der technisch-handwerkliche Teil des Projektes verlangte den Schüler:innen vieles ab und forderte sie bis an ihre Grenzen.

Nun ist die Wandgestaltung abgeschlossen. Die Wand vermittelt ein anderes, wenn auch rätselhafteres Bild als es die Älpler vermochten. Viele verstehen die Zeichen nicht, äussern Unsicherheit bezüglich des pädagogischen Wertes dieses Projektes. Und ja, man kann berechtigterweise die Frage stellen: Konnten die Schüler:innen künstlerische Kompetenzen erwerben oder war der Streifzug durch die grossen Themen der Kunst schlichtweg eine Überforderung, so dass die Schüler:innen einmal mehr mit Unverständnis und alleine zurück bleiben?

Vielleicht beginnt erst hier der womöglich wichtigste Teil des Projektes: Ein Austausch darüber, was entstanden ist, was das Wandbild auslöst. Und da wären wir einmal mehr bei der Kunst, die polarisiert und Diskussionen anstösst. So steht die Kulturagentin nun vor der grossen Aufgabe, Aussagen von «es ist schön farbig» über «wir sind stolz» bis «ich bin einfach froh, dass die Kühe weg sind» in einen produktiven Austausch zu bringen und die Komplexität des Projektes zu vermitteln, um damit einmal mehr auch der Kunst gerecht zu werden.