Koloniale Spuren in pädagogischen Kontexten
27. September 2020
von Sascha Willenbacher
Ein Wandgemälde im Schulhaus Wylergut gibt ein Alphabet zu sehen, das rassistisch geprägt ist. Die Stadt Bern nimmt es im Rahmen eines öffentlichen Wettbewerbs als Chance für eine kritische Einordnung.
Der Frage, welche Bevölkerungsgruppen sich in welcher Weise in Kunst und Kultur repräsentiert finden oder fast gänzlich rausfallen, wird in der weissen Mehrheitsgesellschaft nur langsam, teils widerwillige Aufmerksamkeit zuteil. Oft sind es dann aufgeregte oder sich nervende Artikel über 'Kostüm-Verbote'. Oder Posts, die mit der bangen Frage aufmachen, ob man dieses oder jenes Buch aus Kindertagen noch im Original lesen dürfe: De Schorsch Gaggo reist uf Afrika, Pippi Langstrumpf auf Taka Tuka Land, Globi bei den Nashörnern oder auch die Neuauflage von Tim und Struppi im Kongo – um nur ein paar wenige Beispiele aus der Kinder- und Jugendliteratur zu nennen, die aufgrund ihres expliziten und/oder impliziten Rassismus respektive ihrer kolonialistischen Prägung in der Diskussion waren und/oder immer wieder in diesem Zusammenhang genannt werden.
Mindestens genauso wichtig wie der Blick auf bestehende und tradierte Kulturproduktion, ist aber auch eine Sensibilisierung dafür, dass weiterhin nicht-weisse Protagonist.innen in Kinderbüchern kaum vorkommen und wenn, dann in problemzentrierten Geschichten über Flucht und Migration. Ndey Bassine Jammeh-Siegel, Sozialpädagogin und Gründerin des Instagram-Accounts Afrokids Germany, in einem Interview mit dem Spiegel-Magazin: «Wir wollen unseren Kleinkindern nicht jeden Abend Geschichten über die Flucht von Menschen über das Mittelmeer nach Europa vorlesen. Nein, ich möchte eine Geschichte, in der ein Schwarzes Kind einfach mal in die Schule oder auf den Spielplatz geht, ein Thema, das nicht mit Stress verbunden ist. Wichtig ist auch, dass in diesen Geschichten nicht gerechtfertigt oder erklärt wird, warum ein Schwarzes Kind die Hauptrolle spielt. Leider gibt es diese Art von Büchern nicht aus deutschen Verlagen.»
Im Team der Kulturagent.innen werden wir uns Ende November zusammen mit Lehrpersonen und unter der Leitung von Rahel El-Maawi mit aktuellen Lernmaterialien auseinandersetzen. Gemeinsam – Kulturagent.innen und Lehrpersonen – befragen Mathematikaufgaben, Lieder, Melodien und Abbildungen daraufhin, welche gesellschaftlichen Stereotype, Normalitätsvorstellungen und kolonialen Motive darin reproduziert werden.
Koloniale Motive und Stereotype durchziehen das westlich-europäische Denken, so dass es sich auch in pädagogischen Kontexten niederschlägt. Ein historisches Beispiel dafür ist ein Wandgemälde aus dem Jahr 1949 im Schulhaus Wylergut. Die Wandmalerei der Künstler Eugen Jordi (1894 - 1983) und Emil Zbinden (1908 - 1991) zeigt ein Alphabet, welches die Buchstabenfolge mit Tierbildern, einzelnen Pflanzen und Artefakten, aber auch mit drei stereotyp dargestellten Menschen aus Asien, Afrika und Amerika illustriert. Die Stadt Bern nimmt dieses Werk als exemplarische Chance, um mit dem kolonialen Kulturerbe im öffentlichen Raum – und besonders im Schulkontext – kritisch umzugehen. In einem Wettbewerb wurden fünf Vorschläge für eine künstlerische Arbeit und für einen Input für den Unterricht erarbeitet, welche das rassistisch geprägte Werk kritisch und zeitgemäss einordnen und zu bearbeiten helfen sollen. Das Foto links zeigt die drei Bildtafeln, die im Juli im Zusammenhang mit den antirassistischen Protesten rund um die Ermordung von George Floyd mit schwarzer Farbe übermalt wurden. Mit dieser Aktion wurde das Alphabet schlagartig medial präsent und in den Medien diskutiert wie nie zuvor.