Sarah Freiermuth
«Mit ganz enorm wenig viel.»
Meret Oppenheim
Sarah Freiermuth ist als Kulturagentin im Kanton Thurgau an der HPS Mauren und SSZ Egelsee tätig.
Sarah und ich treffen uns für einen Spaziergang. Wir sprechen über das Kulturagent.innen-Projekt und spekulieren über die Funktion der dubiosen, schwimmenden Freiheitsstatue vor uns auf dem Bielersee. Ein Mix aus verschiedenen Boombox-Musikwolken ist der Soundtrack unseres Gesprächs.
Wenn du ein Tier wärst, welches wärst du?
Ein Okapi.
Und warum?
Dieses Tier sieht für mich aus wie ein Mischwesen, irgendwie Zebra aber auch Giraffe und Tapir, vieles gleichzeitig, damit kann ich mich identifizieren.
Wer bist du denn sonst noch, ausser Kulturagentin?
Mittlerweile bin ich professionelle und mal mehr mal weniger leidenschaftliche Zugfahrerin. Das liegt vielleicht an meiner Spagatposition zwischen meinem Wohnort Zürich, meinem Arbeitsort in der Ostschweiz, und Basel, wo ich lange gewohnt habe. Ich liebe es, neue Dinge auszuprobieren. Das kann ich beim Kochen gut ausleben; am liebsten koche ich für einen grossen Tisch voller Leute. Beruflich bin ich ursprünglich Sekundarlehrerin. Schon während der PH habe ich aber mehr Zeit mit Theater als im Studium verbracht. Heute bin ich Theaterpädagogin, was an sich schon ein Okapi-Beruf ist: Mal im Theater, mal ausserhalb, mit oder ohne Bühne, lehrend und lernend, störend, scheiternd und forschend, als Vermittlerin, Initiantin, Spielclubleiterin, Autorin, Formaterfinderin oder als Mitglied der Agentur für unwahrscheinliche Allianzen.
Agentur wofür?
In der Agentur für unwahrscheinliche Allianzen interessiert uns, was passiert, wenn Institutionen, Vereine, Organisationen und andere Personengruppen, die sich sonst nie begegnen, miteinander in Kontakt kommen. Diese unwahrscheinlichen Begegnungen bringen ganz unterschiedliche Perspektiven zusammen, mit denen sich kreativ auf gegenseitige Herausforderungen blicken lässt. Und wie die Gruppen miteinander in Kontakt und ins Verhandeln kommen, bestimmen künstlerische Rahmungen von uns. Zu erfinden und anzubahnen, was es noch nicht gibt, sehe ich auch als Teil der künstlerischen Praxis als Theaterpädagogin.
Und was können Schulen vom Theater lernen?
Ein Theaterprojekt ist ein kollektiver Prozess, bei dem ich alle Beteiligten als Co-Forschende betrachte. Wir starten mit einer Fragestellung und suchen gemeinsam Antworten, die uns wieder zu neuen Fragen führen. Verschiedene Weltanschauungen und Erfahrungen treffen in der Gruppe aufeinander und werden mit Körper und Sprache im Raum verhandelt. Wir haben Zeit zu bohren, dem Knirschen nachzugehen und Unbequemes auszuhalten. Zum Schluss befinden wir uns oft an einem ganz anderen Ort, als wir zu Beginn erwartet hätten, und wir haben uns so intensiv mit einem Thema beschäftigt, dass sich unser Blick auf die Welt verändert hat. Das Co-Forschen, die Prozessoffenheit, Zeit an etwas dranzubleiben und die dichten Erfahrungs- und Lernmomente, die sich daraus ergeben, erachte ich als sehr wertvoll für die Schule. Das alles ist der Schule ja eigentlich auch nicht fremd, aber es gibt viele Faktoren, die solche Prozesse erschweren. Kontrolle abzugeben, die Zügel anders zu halten und ins Ungewisse zu springen, braucht grossen Mut – aber es lohnt sich!
Wie siehst du dich in deiner Rolle als Kulturagentin?
Auch als Mischwesen. Ich möchte mich in dieser Rolle einerseits möglichst fest verwandt machen mit der Umgebung vor Ort und die Schule mit all ihren Dynamiken verstehen, aber gleichzeitig habe ich auch meine Perspektive als Kulturschaffende und bin dafür da, mit anderen Herangehensweisen den Status Quo bewusst zu stören.
Eine Agentin mit der Lizenz zum produktiven Stören quasi?
Ja (lacht) und auch mit Spezialwerkzeugen und Räuberleiterli, um mit der Schule und den Kulturschaffenden herauszufinden, wie und wo die Begegnungen zwischen den beiden Welten stattfinden können. Im besten Fall so, dass man nach der Begegnung mehr Interesse und Fragen an das Gegenüber hat als davor. So, dass man diese kreierten Orte immer wieder besuchen möchte.
Auf welche Fragen hast du selbst während deiner Schulzeit keine Antwort erhalten?
Auf «brenzlige» und unangenehme Fragen. Die Schule war für mich grundsätzlich ein Ort, an dem ich Fachwissen abholen konnte und kein Ort für Fragen, die mich umtrieben. Dabei denke ich weniger an Antworten als einen Umgang mit den unbeantwortbaren “Grossen Fragen des Lebens” oder der Koexistenz von mehreren Richtig und mehreren Falsch.
Wo tankst du Energie?
Ab 2000hm in der Stille und am Meer, oder allgemein am Wasser oder im Wald, dort lebt übrigens auch das Okapi, man nennt es auch Waldgiraffe.
Interview: Laura Lanfranchi