Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Ein Atelierbesuch bei der Künstlerin Isabelle Krieg oder die Auswirkungen einer Fabrikhalle.

Was wie eine Performance hätte beginnen sollen – eine klassenübergreifend durchmischte Schaar Schüler.innen des Sekundarschulzentrum Remisberg transportiert ihre meterlangen im Wald gesammelten Äste durch Kreuzlingen zum Atelier von Isabelle Krieg – entpuppt sich als zahmer Spaziergang. Die mitgebrachten Äste der Schüler.innen sind teilweise so klein, dass sie locker in eine Faust passen. Wir bringen also Ästchen in eine riesige, lehrstehende Lagerhalle, die wir für den Workshop im Rahmen der an der Schule initiierten Reihe der Remistalks – nutzen dürfen. Die Grösse der Halle löst den gewünschten kraftvollen Schub Energie aus. Spannend zu beobachten, wie einige der Jugendlichen den Raum förmlich durch Bewegung in Besitz nehmen müssen und andere ihm durch Konzentration auf einen Punkt widerstehen.

Die Künstlerin Isabelle Krieg eröffnet den Jugendlichen ihren Zugang zur Welt des Ausbalancierens und des Gleichgewichts. Von der Decke der Halle hängen Schnüre, an welche die Jugendlichen Äste und Baumaterialien zu einem Mobile knüpfen können.

Während die Gruppe der Jungs direkt die grössten von der Künstlerin zur Verfügung gestellten Äste auswählen, tendieren die drei Mädchengruppen zu filigraneren Gebilden. Die Vermittlung von transformiertem Wissen ist ein grosses Anliegen. Symbole werden eingesetzt, um Erzählungen zu formen. Bei mir als Beobachterin werfen sowohl die sichtlich gendernormierte Bespielung des Raums als auch die Herangehensweise an die Gestaltung der Raumobjekte viele Fragen auf, die Hierarchien, Erwartungen und gruppendynamisches Verhalten betreffen. Besonders nachhaltig interessiert mich die aus den Beobachtungen entstandene Frage des «produktiven» Potentials von Störungen einer kaum zu bändigenden Teilgruppe für alle Beteiligten. Versuche die Energie einzudämmen sind sichtlich kontraproduktiv. Wie aber kann es gelingen die Störung als Impuls für die Gesamtgruppe aufzugreifen und zu nutzen? Und wann wirkt sich die Störung des (Gruppen)Gleichgewichts zerstörerisch auf die Konzentration Aller aus?

Auch in der grossen Lagerhalle während Isabelle Kriegs Workshop zeigt sich letztlich erneut, dass gerade diese «Störungen», das Driften, Abwandern und Spazierengehen neue (reale sowie mentale) Begegnungen hervorbringen; was zugelassen werden muss, aber eben nie Alle gleichermassen betrifft. Wo kann da die Balance liegen? Und welche Räume braucht es, damit Alle die Störung wagen, wenn sie denn möchten?

Die sanft vor sich hindrehenden Gebilde wiegen sich im Gleichgewicht, die Turbulenzen ihrer Entstehung haben sie verinnerlicht. Sie hängen jetzt in der grossen Eingangshalle im Schulhaus. So hat die angedachte Performance mit den grossen Ästen, dank der Beharrlichkeit von Valentin Huber, dem Kulturbeauftragten vom SSZ Remisberg nun auf dem Rückweg aus dem Atelier der Künstlerin stattgefunden.