Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Oder: Muss die Lehrperson eigentlich alles können?

Gedanken der Kulturagentin aus der Teilnahme, Beobachtung und Evaluation der gleichnamigen Fortbildung.

Der Traum vieler Schüler und Schülerinnen: In eine andere Rolle schlüpfen, in einem Kostüm auf die Bühne gehen und, den Text auswendig aufsagen. Davor mit der Lehrperson und den Mitschüler*innen proben anstatt Mathe und Rechtschreibung und das Ganze sieht toll aus, wie die Klasse im Scheinwerferlicht, geschminkt und im passenden Kostüm vor einem tollen Bühnenbild den Eltern, dem Gotti und dem Opa ein Theater präsentieren. Danach gibt’s Applaus und eine heisse Ovi als Belohnung.

Wenn Schüler*innen bei ihrer Lehrperson betteln, sie mögen doch bitte bitte auch ein Theater machen, wie sie es bei den Geschwistern oder einer anderen Klasse im Schulhaus begeistert gesehen haben, kribbelt es manchen Lehrpersonen im Magen und den Fingern, aber nicht vor Vorfreude. Denn: Die Lehrperson weiss, welche Vorarbeiten es benötigt, bis die tolle Vorstellung auf der Bühne steht. Wie viele ungezählte Stunden sie das letzte Mal investiert hat und am Schluss, bereit zum Soufflieren, hinter der Bühne sass, hoffend, dass Hansli den Text doch noch auswendig gelernt hat auf heute.

Die Erwartungen sind hoch, manche Schulen bringen ganze Musicals mit live Musik und besonders begabten Kindern zuvorderst auf die Bühne. Die weniger musisch talentierten (oder von zuhause geförderten) Kinder haben geholfen, die Aula zu stuhlen, eins davon hat es noch als Baum auf die Bühne geschafft. «Aber wir wollen unbedingt auch ein Theater machen», hört die Lehrperson ihre Klasse jeden Tag. «Und jetzt», denkt sie sich, «soll ich nebst meinem Fachwissen über die Schulfächer, Pädagogik und Didaktik, Schulentwicklung, neben der Organisation von Sommer- und Skilager und kurz nach dem Elternabend auch noch die Fähigkeiten haben, ein Theaterstück auf die Bühne zu bringen?»

Zu Recht eine weitere, grosse Erwartung, die Lehrpersonen Sorgen bereiten kann.

Seit 2016 gibt es an der PHSG die Fachstelle Theater, die einerseits in der Ausbildung der Studierenden Einsatz findet. Andererseits bekommen Lehrpersonen hier Unterstützung für ihre Anliegen rund um die besagte Thematik. Kristin Ludin und Björn Reifler, die die Fachstelle gegründet haben und sie bis heute leiten, sind ungefähr 12 mal im Jahr an Schulen tätig, wo sie Lehrpersonen weiterbilden. «Unser Ziel ist es, die Schüler und Schülerinnen ins Theater zu holen und das Theater in die Schule zu bringen.» so Ludin. In wenigen, zwar intensiven aber gleichsam vergnüglichen, Stunden wird Einiges erreicht.

Zum Inhalt der schulinternen Lehrerfortbildung soll an dieser Stelle nur das Wichtigste gesagt werden. Er ist den 6 Phasen der Entstehung eines Schultheaterstückes angepasst. Vom Planen und Organisieren über Improvisieren bis zu den Endproben werden die Stationen, die eine Lehrperson mit und ohne die Klasse durchläuft, angesprochen und erklärt. Zu jeder Phase gibt es Körper- und/oder Stimmübungen und Kristin Ludin beantwortet individuell Fragen. Am Schluss gibt es auch ein Handout zum Nachlesen. Wichtig sind auch die Informationen über die Fachstelle Theater und deren Kontaktdaten. Die Lehrpersonen dürfen sich bei Fragen dort melden, die erste Stunde ist gratis, für Aufwändigeres wird eine passende Fachperson vermittelt.

Doch der Inhalt und die Theorie auf dem Handout sind nicht die wichtigsten Elemente der Weiterbildung, sondern das eigene Erleben der Theaterpädagogik. Die Rückmeldungen der Lehrpersonen nach dieser theaterpädagogischen Weiterbildung sind euphorisch. Nicht nur der kompetent vermittelte Inhalt wird gelobt, vor allem auch der teambildende Faktor wird hervorgehoben. Es scheint mir, der Effekt der Teambildung ist ebenso wichtig wie das tatsächliche Instrumentarium, das die Lehrpersonen nun kennen. Wenn in Schüler*innen-Gruppen der Zusammenhalt ebenso wachsen kann, ist schon sehr vieles erreicht, selbst wenn der Text auf der Bühne dann immer noch nicht richtig sitzt.

Die Lehrperson, die beunruhigt den Wunsch ihrer Klasse nach einer Aufführung auf der Bühne in Kostümen und mit Musik und Brimborium hört, darf sich nun also ein wenig entspannen. Oder: sehr entspannen. Ich erkenne in der Weiterbildung nämlich drei Stärken: 1. Es gibt Übungen, die man leicht lernen und mit der Klasse durchführen kann, 2. Der stärkende Effekt der Gruppenbildung kommt durch die Übungen, 3. Man muss nicht alles selber machen, alles selber können. Die Fachstelle Theater hilft weiter bei Fragen und Unsicherheiten.

Sehr interessant finde ich diese Erkenntnisse auch in Bezug auf die Gesamtebene des Projektes der Kulturagent-innen. Es ist natürlich toll, wenn am Schluss einer Projektwoche mit externen Künstler*innen eine Darbietung auf der Bühne stattfindet für die Eltern und Gottis und Opas. Die Kinder können zeigen, dass sie den Text und die Tanzschritte auswendig können. Noch toller ist jedoch, was auf der Bühne (und generell mit Produkten) nur bedingt abbildbar ist: Die inneren Vorgänge, die jedes Kind individuell erleben durfte, zum Beispiel bei einer theaterpädagogischen Übung oder jeder anderen, künstlerisch freien Tätigkeit, zu der die Kinder im Kunst-agentinnen Projekt hingeführt werden.

Und wenn der Text dann doch kurz holpert? Kein Problem. Weil die Klassenbildung dem Kind die Sicherheit gibt, Fehler machen zu dürfen. Und weil die erlebte und gelebte künstlerische Bildung durch professionelle Künstler*innen die Erkenntnis vermitteln kann: Wir sind alle immer auf dem Weg. Ein tolles Resultat bildet nicht per se einen gelungenen Weg ab, ebenso wenig wie kein (vorzeigbares) Produkt besagt, dass niemand einen Weg gegangen ist.