Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

In einer weiterführenden Reflexion meines letzten Blogbeitrages dachte ich: Wenn wir uns fragen würden, welche Namen wir von Komponist*innen und ihren Werken in der westlichen klassischen Musik kennen und was wir über deren Rezeptionsgeschichte wissen, würden wahrscheinlich den meisten von uns spontan mehr Namen von männlichen Komponisten einfallen und weniger Namen von komponierenden Frauen.

Wie in anderen künstlerischen Feldern auch, betätigten sich Frauen in der Musikgeschichte massgeblich, speziell auch in der musikalischen Kompositionsarbeit. So haben weibliche Komponistinnen durch die Musikgeschichte hindurch ihre Werke veröffentlicht: ob unter dem eigenen Namen oder unter einem Pseudonym, manchmal auch unter den Namen ihrer männlichen Verwandten. Viele waren während ihres Lebens sehr bekannte Autorinnen, gerieten allerding nach ihrem Tod allzu oft in Vergessenheit. Etwas anders war – und ist - die Situation jener Musikerinnen, deren Werke und Stimmen auch zu Lebzeiten zum Schweigen gebracht wurden. Dank den Frauenbewegungen hat sich diese Geschichte bis heute zum Teil verändert, aber trotzdem gibt es immer noch einiges zu tun. Bildung und Kultur sind ein wichtiger Teil davon.

Die Namen von Musikerinnen und Komponistinnen wie Kassia, Hildegard von Bingen, Élisabeth Jacquet de la Guerre, Maddalena Casulana, Tarquinia Molza, Barbara Strozzi, Clara Schumann, Alma Mahler, Fanny Mendelssohn, Marianna Martines, Guadalupe Olmedo, Florence Price sind nur ein Teil von einer langen Liste von Frauen in der Musik. Eine Liste, die sich über Jahrzehnte bis in die Moderne und die Gegenwart mit experimenteller oder elektronischer Musik (u.a. Pauline Oliveros, Kumiko Omura, Laurie Anderson) kontinuierlich weiter- und fortschreibt. Aber wie werden die Arbeit und Namen von Komponistinnen bekanntgemacht? Welche Kulturorganisationen tragen dazu bei, die Hörbarkeit ihrer Kunstwerke zu ermöglichen und deren Zugänglichkeit zu verbessern?

Im deutschsprachigen Raum ist das «Archiv Frau & Musik» für Recherche, Beratung, Archivieren und Vorbereitung für Konzertprogramme von wesentlicher Bedeutung. Bestandteile des Archivs sind 28000 Medieneinheiten von und über circa 2000 Dirigentinnen und Komponistinnen vom 9. Bis 21. Jahrhundert im Rock, Pop, Jazz und klassischen Musik.

Ein zweites Beispiel ist der Sendung «Deutschlandfunk Kultur». Dort berichtet die Musikwissenschaftlerin Mary Ellen Kitchens über die zahlreichen Komponistinnen von gestern und heute. Aktuelle Recherchen zeigen, dass die Musik von Frauen immer noch von den großen Orchestern wenig gespielt wird.

Im ZKM - das Zentrum für Kunst und Medien - in Karlsruhe wurden die Namen und Werken von Musikerinnen wochenlang in das Festival «Feminale der Musik» zelebriert.

700 Hours of Music by Women, Composers of African Descent oder Documentaries about Women Composers sind auf die Webseite «Music by Women: Advocate – Educate – Empower» zu finden.

Mit diesem Blogbeitrag möchte ich einen ersten Einblick in den Namen von Komponistinnen geben. Über die obengenannten Links können Interessierte weitere Vertiefungen und Recherchen zum Thema machen.

Bis in jüngster Zeit war die Geschichte der Frauen in der Musik eine nicht gesagte und nicht geschriebene Geschichte. Ein erster wichtiger Schritt war der Beginn der feministischen Musikwissenschaft als Berichtigung der mangelnden Frauenerzählung in der Musikgeschichte (Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre) In der 80er-Jahre und am Anfang der 90er-Jahre konsolidiert sich die feministische Musikwissenschaft mit einer zunehmenden Textproduktion und Publikationen wie das 1991 ikonische Buch “Feminine Endings: Music, Gender, and Sexuality” von Susan McClary. In einem asymmetrische Verhältnis zu der von Männern geleiteten Musikwissenschaft, die nur auf die großen Namen von westlichen Komponisten aufmerksam machte, und mit keine Tradition von Studien über Frauen in der Musik – wie es sie in anderen Kunstsparten wie etwa der Literatur schon etwas früher gab – entstand die feministische Musikwissenschaft in einem Impuls der vergleichbar ist mit der postmodernistischen Philosophie, Postkolonialen Studien und der Queer - Theorie: nämlich über eine Infragestellung des dominanten Kanons und dessen hierarchische Unterteilung in Kategorien zwischen den großen Namen von westlichen, klassischen, weißen Komponisten und der Musik aus verschiedenen Kulturen und Pop-Musik. Damit einher geht auch ein erstarktes Interesse an Themen wie Publikumsrezeption, Bedeutungsproduktion in der Musik, sowie die Beziehung zwischen Identität, Geschlechterrollen und Klangfülle.

Die Auseinandersetzung mit feministischen und intersektionalen Perspektiven auf Gender in der Musikgeschichte, sowie der Bedeutung von unterrepräsentierten Personen und Gruppen innerhalb dieser Geschichte, sollte in aktuellen Musikpädagogikdiskursen und auch im Musikunterricht nicht nur am Rand der Bildung verhandelt werden, sondern im Fokus der Wissensvermittlung stehen. Eine Dezentrierung binärer Geschlechterdifferenz – männlicher oder weibliche Komponist*in – könnte dabei dazu beitragen, die eingeschriebenen Hierarchien in dieser Signifikantenordnung zu überwinden. Aus meiner Sicht bedeutet die intersektionale Perspektive auf Gender in Bildungslandschafften immer auch, sich solidarisch mit den noch nicht lange – oder oft auch noch gar nicht – etablierten Ansätzen jener verschiedenen Feminismen auseinanderzusetzen, die auch innerhalb des vorherrschenden weissen Feminismus häufig marginalisiert sind und sich dabei auch jenseits der Opposition von essentialistischen vs. konstruktivistischen Diskursen bewegen. In einer solchen Geschichtsschreibung sind für die feministischen Bewegungen, sowohl heute wie auch in früheren Frauenbewegungen, der Zusammenschluss von Frauen mit Männern und Personen mit diversen anderen Geschlechtern und sexuellen Orientierungen zentral. Diese ersten Frauenwiderstände waren ein erster Schritt auf dem langen Weg zur Emanzipation und sozialer Veränderung. Es gibt noch einiges zu tun.