Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich unser Wortschatz erweitert. Macht Sinn, neue Erfahrungen brauchen neue Wörter. Eines von diesen Wörtern ist «systemrelevant». Wobei, so richtig neu ist dieses Wort nicht, es tauchte 2008 bei der Finanzkrise zum ersten Mal auf. Neu ist aber, dass offen ausgesprochen und unterschieden werden darf, wer oder was systemrelevant (sprich wertvoll) beziehungsweise nicht systemrelevant (sprich wertlos) ist.

Die Erlaubnis für diese Kategorisierung kommt von Seiten unserer Regierung, die mit finanzieller Unterstützung dort eingreift, wo momentan aufgrund von COVID 19 Subsysteme nicht funktionieren können. Das ist zwar so auch nicht ganz richtig, in der sehr systemrelevanten Pflege scheint das mit dem finanziellen Unterstützen nicht wirklich zu funktionieren. Aber mal abgesehen davon läuft’s. Die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt weiss ja, wo was finanziert werden muss, damit dieser Reichtum auch zukünftig nicht in Gefahr ist. Damit das System weiterhin funktioniert. Also dieses System, das diese Art von Reichtum hervorbringt.

Das macht mich wütend. Als ehemalige Primarlehrerin (systemrelevant weil Bildung) und aktuell Kunstvermittlerin (system- äh, momoll ist ja auch irgendwie Bildung) sowie freischaffende Künstlerin (nöd systemrelevant, sorry) kann ich mit der eigenen Biographie belegen, dass diese Einteilung keinen Sinn macht. Im Gegenteil: all diese Tätigkeiten und Identitäten sind aufs engste miteinander verwoben und ganz bestimmt nicht in konstruierten Wertesystemen gegeneinander aufzuwiegen.

Aber ich verbinde mit der aktuellen Situation auch eine Hoffnung. Vielleicht ist es genau gut und richtig, dass so klare Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft sichtbar werden. Denn vielleicht ist damit nun die Ausgangslage für eine grundsätzliche Befragung der «Relevanz» des aktuellen Systems gegeben.