Kulturagentinnen und Kulturagenten Schweiz

Ein Gespräch über die Arbeit an Zines und Wandzeitungen an der Schule Im Widmer mit Mara Züst

Mara Züst, Habib Asfar und Dominik Bachmann sind als «Mini-Zine-Library» und künstlerische Partnerin der Schuleinheit im Widmer in Langzeitprojekten an der Schule tätig. Es entstanden Zines, die in eine Ausstellung in der Gemeindebibliothek in Langnau am Albis mündeten, und Wandzeitungen, welche innerhalb und ausserhalb des Schulhauses auf Kultursäulen und Plakatstellen sichtbar waren. Die Themen für die entsprechenden Publikationen wurden jeweils von den teilnehmenden Schüler.innen bestimmt.

Das nachfolgende Gespräch mit Mara Züst entstand aus einem Begegnungsmoment an der Schule Im Widmer, wo ich einen Wandzeitung-Workshop der «Mini-Zine-Library» besuchte und einem Interview, in dem aus der ersten Begegnung begonnene Gesprächsstränge und Beobachtungen weitergeführt und vertieft wurden.

Die Arbeit auf ein Endprodukt hin, bedeutet Verantwortung

A: Mara, ich erinnere mich, dass du sagtest, dass du gerne auf ein Endprodukt hinarbeitest. Das hat mir sehr gut gefallen, da – meinen Erfahrungen und Beobachtungen im Kulturvermittlungsbereich zufolge – höchst selten vom (End)Produkt gesprochen wird, obwohl die allermeisten Projekte auf ein Produkt hinauslaufen. Viel häufiger wird jedoch eine prozessorientierte Arbeitsweise betont, und eine Aufteilung zwischen dem Endprodukt und dem prozessorientiertem Vorgehen vorgenommen.

M: Das Endprodukt ist mir sehr wichtig, weil damit eine Art Verantwortung gegenüber einem Publikum und den teilnehmenden Schüler.innen einhergeht. Wenn Habib und ich in der Schule Im Widmer gemeinsam mit Schüler.innen an Zines und Wandzeitungen arbeiten, ist von vornherein klar, dass diese in der Mini-Zine-Library für andere einsehbar sind. Oder, im Fall der Wandzeitung, im ganzen Schulhaus ausgehängt werden. Dabei schliesst das Arbeiten auf ein Produkt hin, eine prozessorientierte Arbeitsweise, in der gesucht, probiert, verworfen und neu begonnen wird nicht aus. Der Präsentationsmoment, die Veröffentlichung beeinflusst nicht unbedingt hauptsächlich die Gestaltung, sondern vor Allem auch die Inhalte. Wenn beispielsweise etwas über Mitschüler.innen, Lehrpersonen, oder auch über Habib oder mich erscheint, weisen wir darauf hin, dass dies respektvoll geschehen soll. Wir vermitteln universelle Werte im Umgang miteinander. Ausserdem ist es eine besondere Erfahrung etwas selbst Gemachtes öffentlich zu zeigen. Oftmals beobachte ich, dass dies den Kindern sehr wichtig ist. Sie sind stolz auf das Entstandene. Wenn wir einmal vergessen ein Zine in die Library aufzunehmen, ist die Enttäuschung der betroffenen Kinder gross. Da müssen wir sehr sorgfältig sein.

Neuer Raum, neue Regeln

A: Mir scheint, dass in eurer Arbeit mit Zines und Wandzeitungen in der Schule geläufige Beziehungsmuster, in welchen Lernende und Lehrende zumeist klar differenziert und als solche positioniert sind, in Bewegung, oder in einen Schwebemoment, geraten. Die Schulgemeinschaft beginnt SchulRäume – im vielfältigen Sinn – neu zu bespielen.

M: Im Widmer haben wir sechs Wochen vor Start der Workshops zur Themenerhebung darüber, was in den selbst gemachten Publikationen behandelt werden soll, alle teilnehmenden Klassen (coronabedingt) einen Fragenkatalog ausgehändigt (zu dieser Zeit war es nicht möglich die Klassen zu durchmischen und alle gemeinsam in einen Raum zu holen). In der Folge wurden Themen gesetzt, die an der Schule aktuell sind, aber nicht von alleine aufkommen. Diese Themen wurden im Fall der Wandzeitung anschliessend in der Schule sichtbar. Der Schulraum konnte somit von Schüler.innen (mit)gestaltet werden. Was den konkreten Arbeitsraum betrifft haben wir die Workshops im Verlauf des Projekts aus den Klassenzimmern in einen atelierartigen Raum im Kindergartengebäude verlegt: Die Kinder und Erwachsenen kamen nun «zu uns». Der Raumwechsel verdeutlichte, dass in unserer Zusammenarbeit andere Regeln gelten. Dasselbe trifft auf die «Mini-Zine-Library» zu, die keine institutionelle Bücherei ist, sondern in einem gemeinsamen Prozess überhaupt erst entsteht, bestückt und zugänglich gemacht wird.

«Aber ich kann nicht so gut Deutsch»

A: Eine interessante Anekdote ist das Gespräch zwischen Habib und einem Schüler, der besorgt war nicht gut genug Deutsch zu sprechen und zu schreiben, um etwas in seinem Zine zu verschriftlichen. Bei meinem Besuch ist mir aufgefallen, dass Habib einen Mix aus Deutsch und Englisch spricht und die Schüler.innen ab und an auf der Suche nach einem Wort um Hilfe bittet.

M: Ja, die Sorge des Schülers wurde durch Habib’s Präsenz und Reaktion auf seine Bedenken gemindert, indem Habib verbal und non-verbal verdeutlichte dass auch er nicht so gut Deutsch spricht und dies bei der Gestaltung eines Zines nicht ins Gewicht fällt – weder in Form einer Benotung (es wird nicht benotet), noch in den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten die ein Zine bietet. Ab und an entstehen Situationen, in welchen die Lehrpersonen Bedürfnisse einbringen, die dem Schulalltag entspringen. Beispielsweise kam es vor, dass einer Lehrperson das Formen ganzer Sätze in den Zines wichtig war. Hier arbeiten wir prozessorientiert, indem wir versuchen die verschiedenen vorhandenen Bedürfnisse der Schüler.innen, der Lehrpersonen, aber auch unsere eigenen aufzugreifen. Um so vorgehen zu können, sind ausreichende, zeitliche Ressourcen zentral.

Schlusspunkt

A: Ich kann mir gut vorstellen, dass das Erleben von Habib durch die Schüler.innen als punktuell «unwissenden Lehrmeister» (Jacques Rancière) bei den Schüler.innen, mit und ohne Migrationserfahrung, haften bleibt. Die fragile Rollenverschiebung die dabei entsteht erinnert mich an das Projekt «Maria va à l’école», in welchem die Künstlerin Maria Jerez drei Wochen lang die «Sprache, die an der Schule gesprochen wird» durch Schüler.innen erlernt. Auch hier spielt die zur Verfügung stehende Zeit eine Schlüsselrolle. A propos Zeit, falls tatsächlich jemand bis hier runter gescrollt hat, sollten wir nun langsam zum Schluss kommen. Abschliessend: Warum denkst du es ist eine gute Idee Zines und Wandzeitungen mit Schüler.innen zu machen?

M: Die Medien Zine und Wandzeitung sind extrem dankbar. Auf der Materialebene sind sie kostengünstig, leicht, mobil. Das Material ist den Kindern geläufig, es gibt zunächst keine Berührungsängste mit Papier, Stift, Fotokopierer. Inhaltlich funktioniert das Publizieren mit Menschen jeglichen Alters. Sie können das Papier anfassen, es mit geschlossenen Augen rascheln lassen und so auf eine Erzählung kommen. Oder eben das Thema einbringen, dass individuell oder in der Gruppe gerade am meisten beschäftigt, es anhand von Bildern, Texten, Collagen, … ausdrücken. Die Teilnehmenden können sich mitteilen.

A: Ein besonderer Moment bei der Arbeit Im Widmer?

M: Als eine Lehrperson ein Thema aus unseren Workshops im Regelunterricht weiterverfolgen wollte. Und als eine Viertklässlerin die Arbeit von Sechstklässler.innen als Teil des Editorial-Design-Teams auf der Wandzeitung anordnen durfte, und so Klassenhierarchien durcheinander gerieten.

Weitere Einblicke in das Langzeitprojekt an der Schule im Widmer finden Sie in den Blogs Wandzeitung und Children are doin' it for themselves, sowie im Dokumentationsbereich.